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Küchennotiz Magazin 06/17

DAS GLÜCK, EIN HUHN ZU ESSEN

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Text: Okka Rohd
Fotografie: Dave Brüllmann
Styling & Produktion: Marion Michels

Natürlich könnte man sich auch Chicken McNuggets holen, ein Thai-Curry mit Huhn liefern lassen oder mit deutlich mehr Aufwand einen Caesar-Salad machen. Schmeckt alles gut, braucht man manchmal, hat alles seinen Sinn. Hühner sind vielseitig und geben sich für alles her, das ist ihr Fluch und ihr Segen. Sie sind das perfekte Für-alle-Zwecke-Essen, geeignet für Kinder, Alte und Kranke (die heilende Kraft der Hühnersuppe ist ja legendär). Doch seine wahre Bestimmung findet das Huhn nur, wenn es unzerteilt auf den Tisch kommt. Ein grosser Vogel, knusprig gebräunt, mit einer Zitrone gefüllt und mit Würzbutter massiert. Mit einem Duft, der den Hunger schon lange vorher angefacht hat, bis die Menschen, die sich um ihn versammelt haben, es kaum noch aushalten. Und doch ist erst einmal Zurückhaltung geboten. Ehe man isst, muss man danken. Einem Essen, das eigentlich kaum Zubereitung braucht. Wenn man will, genügen ja schon ein wenig Salz, etwas Butter und ein Ofen. Einem Gericht, das sich wie wenige andere zum Teilen eignet und deswegen Gemeinschaft stiftet. Einem Essen, das es schafft, alle möglichen Gegensätzlichkeiten in ein raffiniertes Gleichgewicht zu bringen: das Zarte, Unaufdringliche, Subtile des weissen Fleisches mit der Knusprigkeit der Haut. Oder die Feinheit des Hellen, von Blut, Rohem und Jagd weit Entfernten mit der Archaik des Verzehrs. Huhn ist schliesslich das einzige Fleisch, bei dem es akzeptabel ist, es mit den Fingern zu essen und an Keulen zu nagen. Doch am wichtigsten ist die Schönheit so eines Vogels, der auf dem Tisch liegt. Sie ist einer der Gründe dafür, warum bei Festen so oft Geflügel serviert wird. Um einen Truthahn kann man sich nun einmal besser versammeln als um Steaks. Dann macht sich jemand daran, den Vogel zu zerlegen. Er wird ein scharfes Tranchiermesser dazu verwenden, und er wird es oft geübt haben, kein Gefummel und Geruckel, sondern scharfe und elegante Schnitte, die für Gerechtigkeit sorgen, schliesslich soll niemand benachteiligt werden. Und dann, erst dann kann endlich jeder zu essen beginnen. Es ist ein altmodisches Essen – Heinrich IV. verkündete schon im 16. Jahrhundert, dass jeder Bauer am Sonntag ein Huhn im Topf haben solle – und dennoch eines, das in unsere Gegenwart passt. Geflügelfleisch ist fettarm, leicht, es ist nicht noch blutig, wie Steaks es oft sind. Und es verhält sich in der Geschlechterfrage neutral (während etwa Rind- und Schweinefleisch oft als «Männeressen» gelten). Es ist nicht besonders exklusiv, also demokratisch, und es schmeckt auch dann sehr gut, wenn man es nicht wahnsinnig raffiniert zubereitet. Überhaupt dieser Geschmack. Mild und unaufdringlich, tröstlich und weich, aber nie langweilig, was ihm erst einmal jemand nachmachen muss. Dazu der Klang – doch, wirklich. Man muss beim Essen zwischendrin nur einmal die Augen schliessen und hinhören, wie es klingt, wenn eine Grossfamilie oder eine Runde von Freunden gemeinsam einen Geflügelbraten isst. Das zwischen der andächtigen Stille und dem Lachen und den flirrenden Geschichten, das ist Glück.

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