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Kolumne Literatur Magazin 02/19

WAS BLEIBT, WENN DER OSTERHASE GEHT

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Illustrationen: Ted Scapa
Text: Okka Rohd

Ich wusste, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Die meisten Kinder in ihrer Klasse glauben schon lange nicht mehr an den Osterhasen oder Weihnachtsmann. Letzten Dezember hatte auch ihr Glaube Risse bekommen. «Warum kommt der Weihnachtsmann denn immer genau dann, wenn wir nach draussen gehen, um ihn zu suchen?», hatte sie mich gefragt. «Er mag es eben geheimnisvoll», hatte ich gesagt. «Und stell dir nur mal vor, was los wäre, wenn der Weihnachtsmann mit jedem Kind, das er besucht, auch noch sprechen würde – er würde doch nie im Leben rechtzeitig fertig werden.» Sie nickte, setzte aber diesen Blick auf, den sie sonst nur hat, wenn sie mich dabei erwischt, wie ich Chips vor ihr verstecke – halb triumphierend, halb spöttisch, mit einer Grundnote von Beleidigtsein. Nun steht Ostern vor der Tür und mit dem Fest die grosse Glaubensfrage meiner Tochter: Gibt es ihn – oder gibt es ihn nicht? Natürlich ist immer irgendwann Schluss. Aus kleinen Kindern werde grosse und aus grossen Kindern Teenager. Und je älter sie werden, desto feen-, einhorn- und osterhasenloser wird ihre Welt. Das gehört dazu, das ist das Leben. Aber muss es denn so verdammt schnell gehen? Vom Baby zum Osterhasenfan zum Fast-Teenager in zweimal Zwinkern? Vielleicht, dachte ich, gebe ich dieses Jahr noch einmal alles. Verstecke die Eier so raffiniert, wie es nur einem Osterhasen einfallen kann, hinterlasse Tatzenabdrücke, angeknabberte Möhren und einen kleinen Gruss, unterschrieben mit «Der einzig echte und wahre Osterhase». Aber im Grunde würde ich das ja nicht für sie, sondern für mich machen. In einem ziemlich kläglichen Versuch, ihre Kindheit noch ein bisschen länger festzuhalten. Dann dachte ich: Vielleicht hat das Leben das alles ja gar nicht so schlecht eingerichtet. Wenn man gross genug ist, nicht mehr an Weihnachtsmänner und Osterhasen zu glauben, muss man sich für die Unvernunft in seinem Leben vernünftig entscheiden. Beschliessen, dass es zwar keinen Hoppelhasen gibt, der Eier versteckt, aber ein paar Tage im Jahr, in denen man an die Magie von mit Puderzucker bestäubten Quarkteig Häschen glaubt. An selbstbemalte Eier, die an Zweigen hängen, die endlich grün werden, und einen vergessen lassen, wie lang der Winter war. An famose Verstecke, an Krokant-Eier-Gelage und frisch gebackene Hefezöpfe mit Erdbeermarmelade. An Sonnenlicht, das endlich wieder so hell scheint, dass man die Augen zusammenkneifen muss, und ein paar Tage des Zusammenseins ganz ohne Verpf lichtungen. Ja, es stimmt schon. Diese Art von Glauben an den Osterhasen glitzert weniger als der von Kindern. Er erfordert ein wenig Arbeit (Eier anmalen, Hefezöpfe und Quarkteig-Häschen backen), auch Hartnäckigkeit (nein, ich werde am Osterwochenende nicht arbeiten, ich werde nicht einmal daran denken). Aber wie schön ist es, daran zu glauben, dass es ein paar Tage im Jahr gibt, die einfach aus dem Kalender fallen. Tage, deren Zauber man selbst erschaffen kann – bloss mit ein bisschen Eiermalfarbe, viel Schokolade und einem unverrückbaren Glauben an den Osterhasen, den es nicht gibt.

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