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Kolumne Magazin 02/17

ERINNERUNGEN MIT VANILLEZUCKER

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Illustration: Ted Scapa
Text: Okka Rohd

Ich muss nur die Augen fest schliessen, dann bin ich wieder da. Die Küche unseres Hauses hatte weisse Kacheln, weisse Schränke und eine Schiebetür in der Mitte, die eigentlich vollkommen sinnlos war, weil der Raum, den sie teilte, so klein war, dass er gar keine Teilung nötig hatte. Aber wir Kinder liebten die braune Schiebetür mit dem silbernen Griff, die nicht quietschte, wenn man sie nur schnell genug auf- und zuschob. Und wir liebten die Nachmittage, an denen sich meine Mutter ihre braune Schürze anzog und mit uns backte. Für uns waren diese Stunden heilig, denn wir durften nicht allzu oft in die Küche. Die Küche war das Reich meiner Mutter. Manchmal auch meiner beiden grossen Schwestern, die schon alt genug waren, um in ihrem Heiligtum kein Chaos anzurichten. Anlässe, diese Regel zu durchbrechen, gab es eigentlich nur zwei: Ostern und Weihnachten. Dann schob meine Mutter die beiden Holzhocker mit den braunen Füssen (man kann sich das heute schwer vorstellen, aber Braun war damals eine sehr angesagte Farbe) an den schmalen Küchentresen, puderte die Fläche mit Mehl ein, bis die Luft ganz nebelig wurde, und rollte den Teig aus, damit mein Bruder und ich Plätzchen ausstechen konnten. Worin wir mindestens so eifrig waren wie darin, den Teig zu essen. Ich mochte das alljährliche Weihnachtsplätzchenbacken (und mag es bis heute), aber noch lieber mochte ich die Ostervorbereitungen. Denn kurz bevor Ostern kam, gingen wir in die Küche, um Hasen zu backen. Das Rezept hatte meine Mutter in einer Zeitschrift gefunden, ausgeschnitten und säuberlich in ihre rote Rezeptkladde geklebt, die sich im Laufe der Jahre so gut gefüllt hatte, dass sie von einem dicken Gummiband zusammengehalten werden musste. Sie hatte ein Ausrufezeichen neben das Rezept gemalt; das tat sie immer, wenn sie ein Rezept besonders mochte. Der Teig war so einfach herzustellen, dass wir mitmachen durften – Quark, Zucker, Eier, Mehl, Milch, Öl und Backpulver. Meine Mutter loste mit zwei Streichhölzern, wer von uns als Erstes den riesigen Handmixer halten durfte. Am Ende lagen sechs grosse, langohrige Osterhasen auf dem Blech – einer für jeden von uns. Mein Bruder und ich sassen vor der Ofentür, als würde im Fernsehen gerade eine neue Folge von MacGyver laufen. Und wenn die Hasen dann braungebrannt und duftend aus dem Ofen kamen, bestrich meine Mutter sie mit Butter, damit wir sie in Vanillezucker wälzen konnten, bis man die Hasen unter all dem Zucker kaum noch erkennen konnte. Einmal beschloss mein kleiner Bruder, seinem Hasen ein Rosinenauge aufzudrücken, wobei er ihm den Kopf abbrach. Danach gab es nie wieder Rosinenhasenaugen. Daran musste ich denken, als mich meine Tochter vor ein paar Tagen fragte, was ich als Kind gesammelt habe – sie hat gerade begonnen, ein grosses Glas mit Radiergummis zu füllen. «Murmeln», antwortete ich, «bunte Muscheln aus unseren Urlauben und ausländische Münzen». Heute weiss ich, dass ich damals vor allem Erinnerungen gesammelt habe. Manche von ihnen haben ein Vanillezuckerfell. Ich werde versuchen, ihr einen grossen Vorrat davon anzulegen.

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