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Kolumne Literatur Magazin 01/18

KEIN SONNTAG OHNE KUCHEN

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Illustrationen: Ted Scapa
Text: Okka Rohd

Zu den merkwürdigen Phänomenen der menschlichen Seele gehört die Sonntagsdepression. Eigentlich könnte man lange schlafen, danach ein ausführliches Bad nehmen und frühstücken, ohne ein einziges Mal auf die Uhr zu sehen. Hinterher würde man Freunde treffen. Oder auf den Flohmarkt gehen. Vielleicht steht einem auch der Sinn nach einem Spaziergang durch den Wald. Aber wie das so ist mit den Eigentlichs: Sie erinnern einen oft daran, was man alles nicht kann, tut, schafft. Davon wird der Mensch schwermütig. Weil man den einen Tag, der einem selbst gehört (der Samstag ist ja reserviert für Erledigungen, Einkäufe und das Aufstocken des Kühlschrankes), einfach so vergehen lässt. Weil man das Nichtstun nicht geniessen kann. Weil man sich nicht aufraffen kann, etwas anständiges Nicht-Sinnvolles zu tun, und einfach im Bett versumpft. Es hilft auch nicht sonderlich, dass man weiss: Morgen beginnt die Mühle von vorne, die einen den Sonntag herbeisehnen lässt. Auch in meiner Umgebung und bei mir war das so. Lauter müde, von Melancholie nicht nur angehauchte Stimmen am Telefon. Menschen, die durchhingen. Kann doch nicht sein, dachte ich. Eigentlich hat der Sonntag doch das Zeug zum Spitzentag. Also tat ich, was ich immer tue, wenn sonst nichts hilft: Ich backte ihn mir schön. Kuchen hilft schliesslich immer. In diesem Fall ein Apfelkuchen, den ich mal auf einem französischen Weblog gefunden hatte. Sehr wenig Teig und erstaunlich viel Apfel, so viel Apfel, dass man schon denkt, dass dieses Rezept unmöglich einen anständigen Kuchen ergeben kann. Bis man ihn aus dem Ofen holt, kurz abkühlen lässt, anschneidet, das erste, nicht mehr heisse, aber noch warme, sehr grosszügig abgeschnittene Stück nimmt, einen Klacks Sahne darüber löffelt, und dann noch einen Extraklacks, und endlich probiert. Zuerst den Apfel schmeckt, sauer, aber auch ein wenig süss, dann die Saftigkeit, und schliesslich den Teig – eher eine Ahnung als eine Realität und ganz genau richtig im Mund. Nein, dachte ich, den kann ich nicht für mich behalten, und rief die Freundin zurück, mit der ich vor zwei Stunden noch synchrongeseufzt hatte. «Komm rüber», sagte ich, «keine Widerrede. Es gibt Apfelkuchen und wenn du dich nicht beeilst, esse ich ihn ganz alleine.» Sie kam. Und wir synchronseufzten noch einmal, dieses Mal aber bloss wegen des Kuchens. Zwei Wochen später verkuchenbackte ich den Sonntag mit dem besten Käsekuchen, den ich kenne. Er ist eher eine Wolke als ein Kuchen. Ich ass ihn mit meinen beiden Lieblings-Kita-Müttern. Dann war da noch das Bananenbrot mit meinem alten Freund. Und der Zitronen-Thymian-Kuchen (unser Lieblingskuchen!) mit meiner Nachbarin. Lauter hinreissende, lebenskluge, blitzgescheite Menschen, die ein einziges Problem hatten: Sie waren sonntags geschlossen. Bis ein Kuchen sie mit Wochenendliebe infizierte. Vielleicht sollte ich eine Klinik gründen, geöffnet nur sonntags. Die Therapie: Kuchen und Konversation. Ich würde mich auf jeden Sonntag freuen.

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