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Magazin 04/21 Wein Weine

Von Alltags- und von Spitzenweinen

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Welchen Betrag geben Sie im Allgemeinen für eine Flasche Wein aus? Reizen Sie Ihre Preis-Schmerzgrenze schon einmal aus, oder halten Sie sich strikt an Limits, wie keine Flasche Wein unter 10 Franken oder maximal 50 Franken? Oder gehören Sie wie ich zu den emotionalen Weinkäufern, bei denen sich die Vernunft erst einstellt, wenn der Kauf bereits getätigt und das Budget überzogen ist?

Es gibt zwei Kategorien von Weinliebhabern: Die Systematischen, gut Organisierten, die ihren Keller im Griff und im Kopf haben, und oft dazu noch auf einem gewitzten Kellerverwaltungs-Computerprogramm oder in einem akribisch geführten Kellerbuch. Sie wissen, wann sie welchen Wein zu welchem Preis gekauft haben, wann der höchste Trinkgenuss zu erwarten ist, mit wem sie welche Weine getrunken haben und zu welchem Zeitpunkt sie die eine oder andere Appellation nachkaufen müssen. Sie haben ein Weinbudget und halten sich daran, weil sie den Markt aufmerksam studieren und wissen, wo ihre Lieblingsweine mit Rabatt oder in Spezialpromotionen zu beziehen sind. 

Ich gehöre definitiv zur zweiten Gruppe, nämlich den chaotischen Weinkäufern, denen es trotz aller guten Vorsätze immer wieder an Konsequenz und Disziplin fehlt. So habe ich für Flaschen meines inzwischen schon recht würdigen Jahrgangs, der zudem ein grosser und langlebiger war, schon mehrmals dreistellige Beträge bezahlt. Ich hätte für einige auch vierstellige Beträge bezahlt, wenn ich darüber verfügt hätte. Bisher hat mich keine dieser Flaschen enttäuscht und kein Rappen gereut. Auch bekannte Weinjuwele leiste ich mir hin und wieder, wenn auch in Kleinstmengen, weil ich sie mir eigentlich nicht leisten kann.  

Grosses Trinkvergnügen, wenn auch anderer Art, bereiten mir aber durchaus auch Weine, die  zwischen 10 und 20 Franken kosten. Je länger, desto öfter, dank der vielen gut ausgebildeten Winzer und Weinproduzenten, die es heute auf der ganzen Welt gibt. Von ihrem grossen Fachwissen und ihren Kenntnissen über Weinberge und Weinkeller profitieren vor allem die Alltagsweine, denn grosse Weine aus grossen Lagen waren immer schon hervorragend. Galt noch vor 20 Jahren bei Schweizer Weinfreunden die Regel: «Unter 15 Franken gibt es keine anständigen Weine», so führt heute, neben Supermärkten und Discountern, fast jede gute Weinhandlung ein Sortiment einwandfreier, süffiger Alltagsweine zu Preisen, die sogar unter 10 Franken liegen. Das mag einerseits die angespannte Wirtschaftslage der letzten Jahre bewirkt haben, da auch grosse Weinliebhaber sich nicht mehr täglich eine Flasche zwischen 15 und 30 Franken leisten können oder wollen. Andererseits sind es sicher wiederentdeckte Traubensorten und Weinregionen, denen wir die kostengünstigeren Weine verdanken. Greifen Sie deshalb bei Schnäppchen ruhig zu! Am besten verkosten Sie erst eine Flasche bei sich zu Hause, bevor sie einen Karton oder zwei Kartons von diesem Wein in den Keller legen. Grössere Mengen machen keinen Sinn, weil sich diese Weine nicht durch Lagerung verbessern und es in dieser Preiskategorie regelmässig interessante Angebote gibt. 

Eines allerdings sollten Sie wissen: Trotz aller Versprechungen von gewissen Anbietern, für Fr. 5.50 oder Fr. 7.50 bekommen Sie weder Spitzen- noch Reserve-Spitzenweine, sondern Weine aus Überschuss- oder Massenproduktion, oftmals im Tank in die Schweiz importiert und hier abgefüllt. Solche Weine können durchaus munden und sind meist nicht schlechter als die Weine, die in Weinregionen täglich als Durstlöscher auf den Tisch kommen.   

Beatrice van Streen ist seit vielen Jahren meine gute Freundin und Mitarbeiterin. Sie hat für La Tavola spannende, wissenswerte und geistreiche Artikel, Reportagen und Kolumnen über den Wein geschrieben. Danke, liebe Beatrice, für deine spritzigen Texte mit Tiefgang und Humor.

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