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Kolumne Literatur Magazin 03/18

DIE ENTDECKUNG DES MORGENS

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Illustrationen: Ted Scapa
Text: Okka Rohd

Es gibt in unserer Familie eine heilige Regel: Bis zwölf Uhr mittags ist Muffen erlaubt. Wir sind Morgenmuffel, und zwar nicht von der charmanten Art. Vor dem Mittagessen einen klaren Gedanken oder ein Lächeln zustande zu bringen und so zu tun, als wären wir halbwegs sozialverträgliche Menschen, fordert uns viel Willensstärke (und Espresso) ab. Ein ausführliches Gespräch am sonntäglichen Frühstückstisch klingt bei uns ungefähr so. Er: «Gut geschlafen?». Ich: «Mhhh.» Damit haben wir für die nächsten zwei Stunden genug gesprochen. Sogar unsere beiden Töchter sind ausgesprochen morgenmuffelig, auch wenn sie selbst dabei unglaublich süss sind – Mini Grüffelos, die maunzen und ihre Stirn in so dramatische Falten legen, als wären sie zwei Stummfilm-Diven kurz nach der Trennung von der Liebe ihres Lebens. Abends hingegen ist unser Leben wunderbar. Wir haben kein Problem damit, bis drei Uhr morgens zu arbeiten oder in der Küche zu sitzen und über nichts und alles zu reden. Wir mögen es, wenn Freunde zu Besuch kommen und zusammen mit uns die Zeit vergessen, während der Himmel vorm Fenster erst dunkelblau und dann schwarz wird. Ich arbeite am liebsten nachts, wenn die Welt ganz still ist, kein Telefon klingelt und keine SMS etwas von mir will. Wenn die Gedanken wie ein kleines Kind losrennen, in die eine Richtung, wieder in die andere, stehen bleiben, weiterrennen, stolpern, wieder aufstehen und irgendwo hinaufklettern. Ich mag das Stille, Wilde, Rohe, Freie der Nacht, das Dunkle, auch das Vergebende. Und dann habe ich mich vor ein paar Tagen doch in den Morgen verliebt. Meine kleine Tochter war um fünf Uhr aufgewacht, wie sie es gerade leider oft tut. Nachdem sie wieder eingeschlafen war und mir das leider so gar nicht gelang, stand ich auf und tapste in die Küche. Weil es schon ganz sommerwarm war, öffnete ich das Fenster. Ich stellte die Kaffeemaschine an, machte mir einen doppelten Espresso, setzte mich an den Küchentisch und schaute nirgendwohin. Unglaublich, dass ich das einmal sagen würde, aber: Wie wunderschön das war. Der Himmel vorm Fenster wurde langsam hell, die Luft roch schon nach Leichtsinn und der Tag machte es sich bequem in mir. Statt mich mit einer schnellen Stulle im Gehen zu bescheiden (wie sonst), rührte ich mir ein Porridge zusammen und löffelte es in Zeitlupe. Ich ass eine Schale Erdbeeren. Beere für Beere. Irgendwann fiel ein Sonnenstrahl quer über den Boden bis auf meinen nackten Fuss und ich musste an einen schönen Satz denken, den meine Freundin Alexa gesagt hatte: «Der Boden sah heute Morgen aus wie ein grosser Honigtoast.» Ich sass da und war einfach glücklich. Der Tag fühlte sich wie ein Versprechen an. Dann trottete der Rest der Familie in die Küche, setzte sich zu mir an den Tisch und schwieg ausführlich. «Frisch hier», sagte irgendwann meine grosse Tochter, und ich stand auf und schloss das Fenster. «Mäh», sagte meine kleine Tochter. «Kaffee», sagte mein Mann und nahm noch einen Schluck. Ich weiss was, was ihr nicht wisst, dachte ich. Und grinste.

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