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10.12.19

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Das Leben besteht nicht darin gute Karten zu erhalten, sondern mit den Karten gut zu spielen.

Kolumne

OH,
TANNENBAUM

Ich bin ein Weihnachtsfreak, gar keine Frage. Jeder weiss, wie sehr ich die Wochen vor dem Heiligen Abend liebe, das Keksebacken, das feierliche Aufstellen des Adventskranzes, die Marzipanstollen (dick mit Butter bestrichen!), das Herumüberlegen, worüber sich die Liebsten wohl am meisten freuen würden, das Einkaufen und Verpacken und Schleifenbinden. Nur mit einer Weihnachtstradition kann ich mich schwer anfreunden: mit dem Tannenbaumkauf. Ich schiebe es mal auf frühkindliche Prägung. Seit ich mich erinnern kann, lief der Heilige Abend  bei uns zu Hause immer gleich ab: Nach dem Frühstück durften wir vier Kinder uns zu meiner grossen Schwester ins Zimmer setzen, wo ein kuscheliges Lager aufgebaut war, es gab Äpfel und Kekse und zur Feier des Tages wurde aus der Videothek ein Videorekorder mit Kinderfilmen ausgeliehen. Die Spannung stieg mit jeder Stunde, denn unten verwandelten meine
Eltern das präzise verhängte Wohnzimmer ins Weihnachtszimmer. Bis es endlich so weit war, das Glöckchen klingelte und wir die Tür öffnen durften. Natürlich freute ich mich über die Geschenke. Viel grösser, wichtiger und weihnachtlicher aber war der erste Blick auf den Tannenbaum, über und über mit roten Kugeln und Holzfiguren behängt, mit Schokoladenkugeln (von denen wir uns an jedem Weihnachtsmorgen eine nehmen durften) und den schweren Kerzenhaltern mit den roten Kerzen. Hätte ich noch an den Weihnachtsmann geglaubt, hätte ich mir von ihm nur eines gewünscht: Einmal den Tannenbaum kaufen, schmücken und verzieren zu dürfen. Einmal Teil der grossen Magie zu sein. Aber meine Eltern blieben eisern. Verständlich, bei vier Kindern, aber auch sehr sehnsuchtsstiftend. Und die kindliche Tannenbaumsehnsucht ist bei uns vier Kindern nicht folgenlos geblieben. Meine älteste Schwester
vertritt seit Jahren den Standpunkt, dass ein Tannenbaum eigentlich nur ironisch zu ertragen sei und stellt daher konsequent einen weissen Plastikbaum auf (keine Ahnung, wie sie das schafft, aber in ihrer Wohnung sieht er sogar gut aus). Meine andere Schwester plant den alljährlichen Tannenbaumkauf wie eine Weltreise, der Baum wird selbstverständlich eigenhändig geschlagen, darf aber erst am Heiligen Abend aufgestellt und geschmückt werden (keine Ahnung, wie sie das hinkriegt, aber er sieht jedes Jahr noch schöner aus als im Jahr zuvor, mit den Tannenbäumen meiner Schwester könnte man Werbung für Weihnachten machen). Mein Bruder hat keinen Tannenbaum und keine Zeit für so ein Gedöns. Und mich macht der  Tannenbaumkauf jedes  Jahr so nervös, dass ich entweder viel zu früh losgehe (und er sich bis zum Heiligen Abend nackt genadelt hat), viel zu spät (ich werde nie vergessen, wie der Tannenbaumstand am 24. Dezember direkt vor unserer Nase dichtmachte und wir aus Verzweiflung ein hässliches, völlig überteuertes Mini-Tännchen beim Blumenhändler kaufen mussten), viel zu viel schmücke («Versteckt sich irgendwo da drunter ein Tannenbaum? ») oder viel zu wenig. Wie bescheuert das alles ist, hat mir letztes Jahr meine dreijährige Tochter beigebracht, die den Tannenbaum sah, alle ihre Socken und Kuscheltiere holte und grosszügig auf den Zweigen verteilte, mich ansah und das glücklichste Mädchen der Welt war. Ziemlich gut, sich mal wieder daran zu erinnern, worum es Weihnachten eigentlich geht: um Zeit mit den Liebsten. Im Kerzenschein eines sockenverzierten Tannenbaumes.

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